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Talmud Thora Schulen in Deutschland 1945 - 1950

Schriftzug Talmud Thora Schulen in Deutschland 1945 - 1950 Hebräisch: bereschit...

Jüdische Orthodoxie im Schatten des Doms

Vor 70 Jahren löste sich die jüdische Gemeinschaft in der bayerischen Bischofsstadt auf

„Die Juden stiegen in das Wasserbecken und tauchten dann dreimal vollständig unter“, berichtet Alfred Gimmler. Er war in der Nachkriegszeit als Hausmeister und Schabbes-Goj in einer Eichstätter DP-Unterkunft beschäftigt und kann sich noch lebhaft daran erinnern, wie sich die Männer vor dem Schabbat in der Mikwe rituell reinigten. Zwischen 1946 und 1949 lebte im Gebäude der früheren Landwirtschaftsschule eine Gruppe von orthodoxen Juden, die es ablehnten im großen DP-Hauptlager in der Jägerkaserne, am Rande der oberbayerischen Stadt, untergebracht zu werden. Sie zogen es vor, im Schatten des Eichstätter Doms, in Ruhe und abgesondert von allen weltlichen Versuchungen, ihr frommes Leben zu führen.

Die bayerische Bischofsstadt beherbergte in der unmittelbaren Nachkriegszeit teilweise mehr als 1.300 jüdische DPs, osteuropäische Überlebende der Shoa, die auf ihre Emigration nach Israel oder Übersee warteten. Die letzten deutschen Juden waren 1938 vertrieben worden. Die temporären DP-Unterkünfte waren von der internationalen Hilfsorganisation UNRRA eingerichtet worden und unterstanden deren Verwaltung. Gleichwohl verfügten die Bewohner über ein großes Maß an Autonomie. Regelmäßig fanden demokratische Wahlen für die Selbstverwaltungsorgane statt, es wurden eigene Schulen, Kindergärten und Sportvereine gegründet. Auch das kulturelle Leben blühte: Auf der Lagerbühne wurden jiddische Stücke aufgeführt und Konzerte gegeben. Das sportliche und kulturelle Angebot fand hauptsächlich in der Jägerkaserne statt und wurde insbesondere von deren Bewohnern genutzt.

Die fromme Gemeinschaft in der ehemaligen Landwirtschaftsschule beschäftigte sich hingegen hauptsächlich mit dem Studium der Thora und des Talmuds. Schon nach kurzer Zeit hatten die Religiösen eine Betstube und eine Mikwe eingerichtet. Eine Gruppe von 20 Männern besuchte im Sommer 1947 die lagereigene Jeschiwa, dazu unterrichteten zwei Lehrkräfte 34 Jungen in einem Cheder. Lehrer und Schüler waren offensichtlich Anhänger des als Chafez Chaim bekannten Rabbiners Israel Meir Ha Kohen (1838-1933), da im Gebäude ein großes Portrait des berühmten talmudischen Gelehrten hing.

Bei den Wahlen zu den Selbstverwaltungsgremien wählten die Bewohner der Landwirtschaftsschule mehrheitlich die Liste der Agudas Israel, eine antizionistische religiös-orthodoxe Bewegung, die die Ansicht vertrat, dass der Staat Israel nicht von Menschen, sondern nur durch die Ankunft des Messias ins Leben gerufen werden könne. Erst zögerlich revidierte die Organisation diesen Standpunkt und engagierte sich beim Aufbau des jüdischen Staates.

Jiddisches Wahlplakat der Agudas Israel. Repro: nurinst-archiv

Unterstützung erhielten die Strenggläubigen von der orthodoxen Hilfsorganisation Vaad Hatzala (dt. Rettungskomitee), eine Vereinigung von US-amerikanischen und kanadischen Rabbinern, die Geld, Thorarollen, Gebetbücher, Tallitot und Teffilin verteilten. Mit Interesse betrachtet Alfred Gimmler die für ihn fremden Rituale, wenn sich die Gläubigen zum Gebet versammelten. „Beim Beten schnürten sich die Juden Riemen um die Arme und banden sich ein kleines Kästchen an den Kopf“, entsinnt sich der Hausmeister, der am Schabbat und den jüdischen Feiertagen in seiner Funktion als Schabbes-Goj auch das Licht an- und ausschaltet sowie im Winter die Öfen anschürte. Im Keller des Anwesens bestand auch eine kleine Bäckerei, in der am Freitag „geflochtene Brote“, wie Gimmler die Challot bezeichnet, gebacken wurden. Der deutsche Zeitzeuge erinnert sich auch noch, dass die jüdischen Bewohner im Herbst eine zeltähnliche Hütte im Hof aufgestellt haben. Damit meinte er offensichtlich die Sukka, in der sich die Menschen zum Laubhüttenfest versammelten.

Jüdischer Bewohner des DP-Camps Landwirtschaftsschule in Eichstätt, Zeichnung von Alfred Gimmler. Repro: nurinst-archiv

Die orthodoxe jüdische Gemeinschaft bestand bis zum Frühjahr 1949. Nach den Erinnerungen von Alfred Gimmler sollen die meisten nach Israel übersiedelt sein. Nicht wenige zog es aber auch in die USA, für die der Hausmeister eigens „große hölzerne Überseekisten“ zimmern musste. Im Laufe des Jahres wurde auch das Lager in der Jägerkaserne aufgelöst.

Quellen

Archive

  • American Jewish Joint Distribution Committee Archives, New York
    AR 45/54 Germany
  • nurinst-archiv, Nürnberg
    Jewish DPs Bavaria (13)
  • YIVO Institute for Jewish Research, New York
    Displaced Persons Centers and Camps in Germany
    Jewish Displaced Persons Periodicals
    Leo W. Schwarz Papers

Literatur

  • Jim G. Tobias, Vorübergehende Heimat im Land der Täter. Jüdische DP-Camps in Franken 1945–1949, Nürnberg 2002

Einrichtung: DP-Camp Eichstätt